Giovanni Pascoli

1855 – 1912           Italien

 

 

In Übersetzungen von

Anton Wildgans

 

 

Die Brücke

 

Den Himmelsrand verbrämt grüngoldne Helle

Des Monds und löset Flur und Fluß aus Nacht.

mit Lauten, die wie Schluchzen aufgefacht,

Am Brückenpfeiler bricht sich Well’ um Welle.

 

Wo ist das Meer, das ruft? Wo ist die Quelle,

Die zwischen Gräsern murmelt? Welche Macht

Trägt dieser Wasser überglänzte Fracht

Zum fremden Meer von fremder Berge Schwelle?

 

Nun geht der Mond auf; die Zypressen biegen

Die Wipfel leis’ am düstern Saum des Stroms,

Einander flüsternd in den Traum zu wiegen.

 

Flutenden Silbers, schimmernden Aroms,

Ruht das Gewölk, das unsichtbar erstiegen

Die blaue Leiter des kristallnen Doms.

 

 

Das Nest

 

Im kahlen Rosenstrauche hängt ein Nest.

O, einst im Lenz, wie quoll daraus und drang,

Wenn Atzung war, geschwätziger Überschwang

Zwitschernder Brut, erfüllend das Geäst!

 

Nur eine Feder blieb als armer Rest

Und haftet, vor dem Raub der Lüfte bang,

Gleich einem Traume, den die Seele lang

Festhalten will und endlich doch entläßt.

 

Und zu der erde wendet sich die Schau

Vom Himmel ab, wo längst kein Liederklang

mehr strahlend aufsteigt und zerstiebt im Blau.

 

Verweht von welken Laubes Niedergang

Sind alle Gründe. Durch das ewige Grau

Weint wie in Wellen weher Windgesang.

 

 

Die Wallfahrtskirche

 

Wie eine Arche fremder Düfte steht

Das Heiligtum auf schroffer Felserhebung,

Verhauchend noch Gesänge und Gebet

Ins Piniengestämme der Umgebung.

 

Vom Zittern, das durch seinen Dämmer geht,

Wenn nachts in bläulich-zarter Flockenschwebung

Der Weihrauch aus gestrenger Apsis weht,

Erschaudert’s noch in göttlicher Erhebung.

 

Darüber wölbt sich leuchtend Himmelspracht,

Hoh über Hügeln, die sich ferne neigen,

Hält schon das Bildgestirn des Wagens Wacht.

 

Und mit den Schatten, die nun wachsend steigen,

erhebt ein Wasserfall die Stimme sacht –

Sehnsüchtig seufzend durch das ernste Schweigen.